Politik

Bundeskabinett tagt: Deutschland fehlen 2040 über 3 Millionen Fachkräfte

Experten geben düstere Prognosen ab: Bis 2040 könnten in Deutschland bis zu 3,3 Millionen qualifizierte Arbeitnehmer fehlen. Besosnders betroffen sind u.a. die Gesundheits- und Pflegeberufe. Zeit zum Handeln, finden die Wissenschaftler. Das Bundeskabinett befasst sich an diesem Mittwoch mit der Sicherung der Fachkräfte in Deutschland. bpa-Präsident Bernd Meurer erneuert angesichts der neuen Zahlen zum Fachkräftemangel seine Forderung nach einer flexibleren Fachkraftquote in der Altenpflege

- Die Prognos-Forscher gaben schon 2015 einen düsteren Ausblick auf den Fachkräftemangel in den nächsten Jahren - die Branche Gesundheit und Pflege ist besonders betroffen.

Nürnberg/Berlin (dpa) – Ohne schnelles Umsteuern droht der deutschen Wirtschaft nach Einschätzung von Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsforschern langfristig eine große Fachkräftelücke. Allein bis 2030 könnte sich die Zahl der fehlenden Facharbeiter, Techniker, Forscher und medizinischen Fachkräfte auf bis zu 3,0 Millionen belaufen und bis 2040 gar auf 3,3 Millionen, geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten Studie  des Basler Forschungsinstitut Prognos hervor.

Damit erwarten die Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsforscher von Prognos nicht mehr ganz so viele fehlende Fachkräfte wie noch vor zwei Jahren. Damals kamen sie in einer Studie für die bayerische Wirtschaft (vbw) noch auf eine mögliche Lücke von 3,9 Millionen fehlenden Fachkräften im Jahr 2040. Inzwischen wurden aber die Bevölkerungsprognosen korrigiert, es wird nun ein weniger starker Rückgang erwartet, was auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt etwas entspannen dürfte.

Die Experten mahnen dennoch weiterhin schnelles Handeln an. Denn Politik und Wirtschaft verfügten durchaus über passende Maßnahmen, um den drohenden Fachkräftemangel rechtzeitig zu verhindern, heißt es in der Studie.

Das Bundeskabinett befasst sich an diesem Mittwoch mit der Sicherung der Fachkräfte in Deutschland. Dazu legt das Bundesarbeitsministerium einen Fortschrittsbericht 2017 vor. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sagte der "Nordwest-Zeitung" vorab: "Stillstand und Nichtstun sind in Anbetracht des Wandels der Arbeit der Zukunft grob fahrlässig." Unter Berufung auf den Bericht des Ministeriums schreibt das Blatt, es seien hauptsächlich Gesundheits- und Pflegeberufe sowie technische Berufe, in denen akademische und nichtakademische Fachkräfte knapp seien.

Als Hauptgrund für den drohenden Mangel führt Prognos die zunehmende Überalterung der deutschen Gesellschaft an: "Im Zuge des demografischen Wandels wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt in den nächsten 10 bis 20 Jahren erheblich verschärfen", betont Studienautor Oliver Ehrentraut. Auch wenn man inzwischen nicht mehr mit einem so starken Schrumpfen der Bevölkerung rechne, die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter werde dennoch weiter kräftig sinken – um gut 10 Prozent bis zum Jahr 2040.

Hinzukomme, dass mit dem wachsenden internationalen Wettbewerb, anderem Konsumverhalten und der Digitalisierung in fast allen Wirtschaftsbereichen manche Berufe nach und nach an Bedeutung verlieren würden. Umgekehrt werde es an Menschen mit dem künftig dringend gefragten Fachwissen fehlen, so die Prognos-Wissenschaftler.

Nach der Vorhersage der Baseler Forscher werden etwa viele Sicherungs- und Überwachungstätigkeiten wegfallen. Auch Lastwagenfahrer und Packer müssten damit rechnen, dass ihre Arbeit künftig von Robotern und Automaten erledigt werde. Gleiches gelte für Buchhalter, Kreditsachbearbeiter und Immobilienmakler – elektronische Systeme dürften solche Berufe langfristig ersetzen. Dagegen werde es schon 2020, stärker aber bis 2030 einen Mangel an Managern, Forschern, Ingenieuren, Ärzten, Pflegern und medizinischen Assistenten geben, in geringem Umfang auch an Kreativen und Journalisten.

Um die Fachkräftelücke zu verkleinern oder zu schließen, sprechen sich die Baseler Bevölkerungsforscher auch für eine "Bildungsoffensive" aus: Vor allem die berufliche Ausbildung müsse gezielt gefördert werden, um mehr jungen Menschen zu einem Berufsabschluss zu verhelfen.

Zudem sollte Frauen und Männern nach einer Familienpause die Rückkehr in das Erwerbsleben erleichtert werden. Ältere sollten dazu motiviert werden, länger zu arbeiten. Mit beiden Maßnahmen könnte der drohende Arbeitskräftemangel langfristig um rund zwei Millionen Beschäftigte verringert werden. Schließlich sollten Teilzeitkräfte dafür gewonnen werden, ihre wöchentliche Arbeitszeit zu verlängern. In allen Szenarien ist bereits eine durchschnittliche jährliche Zuwanderung von 200.000 Migranten unterstellt. Angaben dazu, wie stark die zuletzt zugewanderten Asylbewerber gegen den Fachkräftemangel helfen können, ist in den Prognos-Szenarien nicht enthalten. 

bpa-Präsident Bernd Meurer griff das Thema umgehend auf: "Frau Nahles hat recht. Stillstand und Nichtstun sind gerade in der Altenpflege grob fahrlässig. Leider hat sich bis heute wenig beim Thema Fachkräftesicherung getan. Da ist der Fortschrittsbericht eher eine Stillstandsbeschreibung. Schon jetzt stehen Dienste und Heime mit dem Rücken zur Wand. Und die Situation wird nicht besser werden, denn die Zahl der Pflegebedürftigen wird weiter ansteigen und der Fachkräftemangel, wie der Bericht ihn beschreibt, sich deutlich verschärfen.

Angesichts dieser dramatischen Lage ist es unverständlich, dass man weiter an einer starren Fachkraftquote ohne Bezug zu den Bewohnern oder wissenschaftlicher Fundierung festhält. Das führt in letzter Konsequenz dazu, dass Betten nicht mehr belegt und ganz Abteilungen stillgelegt werden müssen, obwohl die flächendeckende Versorgung gefährdet ist. Unter dieser rein ideologischen Diskussion leiden letztendlich die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen.

Es kommt nicht auf den Stellenschlüssel an, sondern darauf, dass in der Pflege die erforderliche Qualität zu 100 Prozent erreicht wird. Die Qualifikation der Beschäftigten muss sich nach den fachlichen Anforderungen richten, nicht nach starren Quoten. Eine Orientierung dazu gibt der 'Nationale Qualifikationsrahmen für die Pflege und Betreuung älterer Menschen'. Dort ist beschrieben, welche fachliche Anforderung an welche Leistungen zu stellen ist.

Bei der Diskussion um die Fachkraftquote geht es uns auch darum, die Personalmenge zu erweitern, um die steigende Zahl an Pflegebedürftigen gut pflegen zu können und die Pflegekräfte insgesamt zu entlasten."