Politik

DAK-Pflegereport: Angehörige von Menschen mit Demenz am Ende ihrer Kräfte

Pflegen bis zur Erschöpfung: Wer sich intensiv um demente Angehörige kümmert, ist oft am Ende seiner Kräfte. Das geht aus dem neuen DAK-Pflegereport hervor, der heute in Berlin vorgestellt wird. Angesichts der Ergebnisse schlägt DAK-Vorstandschef Andreas Storm die Errichtung von Pflegekompetenzzentren vor.

- Gewünschte Wohnformen für Menschen mit Demenz.Quelle: DAK-Pflegereport 2017

Derzeit leben in Deutschland rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Schätzungen zufolge könnten es 2050 doppelt so viele sein. Wer sich intensiv um demente Angehörige kümmert, ist oft am Ende seiner
Kräfte. Der neue DAK-Pflegereport zeigt: Neun von zehn dieser Pflegenden fordern mehr Unterstützung. Der Report zeigt erstmals, dass jeder Fünfte Wohngruppen für die beste Betreuungsform Demenzkranker hält. In Wohngruppen leben jedoch nur knapp zwei Prozent der Betroffenen. Laut der DAK-Studie gibt es außerdem Defizite in Diagnostik und Versorgung. Angesichts der Ergebnisse schlägt DAK-Vorstandschef Andreas Storm neue Wege vor, die Pflege zu stärken.

Beim Wunsch nach mehr Unterstützung steht das Geld an erster Stelle: 86 Prozent der Befragten geben an, mehr finanzielle Hilfe zu brauchen. Zwei von drei möchten mehr Unterstützung durch professionelle Dienste. 60 Prozent erwarten für sich und ihre dementen Familienmitglieder mehr Selbsthilfe-, 42 Prozent mehr Informationsangebote. Jeder dritte pflegende Angehörige will Unterstützung durch Freiwillige und günstigere Möglichkeiten, sich von privaten Pflegekräften unterstützen zu lassen. Für den DAK-Pflegereport hat das AGP Institut Sozialforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg untersucht, welche Erfahrungen, Erwartungen und Ängste die Menschen zum Thema Demenz haben.

"Ein überraschendes Ergebnis des DAK-Pflegereports ist die positive Haltung vieler Menschen zu Demenz", sagt DAK-Chef Andreas Storm. "Fast jeder zweite der Befragten mit dementen Angehörigen hält ein gutes Leben mit Demenz durchaus für möglich." Insgesamt stimmen dieser Aussage 39 Prozent zu. Mehr als 80 Prozent aller Befragten wünschen sich jedoch auch mehr Anerkennung für Angehörige und mehr Respekt gegenüber Erkrankten. "Wir müssen die Krankheit als soziale Tatsache akzeptieren und lernen, Betroffene mitsamt ihrer Persönlichkeit zu respektieren", sagt Storm.

Knapp jeder vierte Deutsche hat schon Angehörige mit Demenz begleitet. 69 Prozent der Menschen mit Demenz haben laut Befragung in ihrem eigenen Zuhause gelebt. Bei der Frage, welches die beste Art der Betreuung und Unterbringung ist, herrscht dennoch Unsicherheit. 35 Prozent der Befragten mit Demenzerfahrung halten den eigenen Haushalt für den besten Ort für Menschen mit Demenz. 22 Prozent halten ambulant betreute Wohngruppen für die bessere Alternative. Andere nennen gute Pflegeheime (16%) oder den Haushalt von Angehörigen (13%). "Der Report zeigt erstmals, wie viele Menschen ambulant betreute Wohngruppen für Demenzkranke befürworten", sagt Pflegeexperte Prof. Thomas Klie, der den Report wissenschaftlich begleitet hat. "Leider deckt sich die Realität jedoch nicht mit den Wünschen der Bevölkerung. Gerade diese Form der Betreuung ist nur in wenigen Regionen verfügbar."

Andreas Storm fordert daher, neue Wege zu gehen. Sein Vorschlag: Krankenhäuser, die nicht mehr benötigt werden, sollen in Pflegekompetenzzentren umgewandelt werden. Dort können wichtige Angebote, von Beratung über spezialisierte Wohngruppen bis Kurzzeitpflege, unter einem Dach gebündelt werden. Grenzen zwischen ambulanter Pflege, Geriatrie und Pflegeheimen würden überwunden. "Gerade im kommunalen und ländlichen Bereich könnte so die Pflege gestärkt werden", sagt Storm. "Pflegekompetenzzentren kämen sowohl den Pflegebedürftigen als auch deren Angehörigen zu Gute."

Teil des DAK-Pflegereports ist eine Auswertung von Patientendaten. Diese zeigt Handlungsbedarf: Fast alle Demenzpatienten (95%) werden nach ihrer Diagnose mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt. Drei von vier müssen im Jahr nach der Diagnose ins Krankenhaus. Dort werden sie häufiger als andere wegen Flüssigkeitsmangel (plus 5%), Oberschenkelbruch oder Delirium (jeweils plus 4%) behandelt. "Das sind besorgniserregende Zahlen die zeigen, dass die Versorgung demenziell Erkrankter nicht optimal ist", sagt Klie. Auch die Diagnostik sei nicht immer klar genug, um die beste Versorgung sicherzustellen, warnt Klie: Fast zwei Drittel der Erstdiagnosen von Demenz werden nicht anhand adäquater Leitlinien gestellt.

Neben der Bedeutung für Betroffene und Angehörige stellt der DAK-Pflegereport den Einfluss von Demenzdiagnosen auf das Gesundheitssystem heraus. Die Kosten, die für einen Patienten in Kranken- und
Pflegeversicherung entstehen, steigen nach einer Demenzdiagnose um 89 Prozent: Im Jahr vor der Diagnose sind es im Schnitt 12.768 Euro, im Jahr danach 24.128 Euro. Vor allem der Anteil der Pflegeleistungen steigt von rund 32 auf rund 42 Prozent der Gesamtkosten.

  • Für Angehörige von Menschen mit Demenz gibt es jetzt ein neues Online-Angebot der DAK-Gesundheit und der Unternehmerin Sophie Rosentreter. Rosentreter bringt in empathischen Filmen näher, wie sich Betroffene fühlen und wie eine Demenz Menschen verändert. Ziel ist es, Verständnis zu wecken und für etwas Leichtigkeit im Umgang mit dem schweren Thema zu sensibilisieren. Die Filmreihe "pflegeleicht" kann im Netz unter www.dak.de/pflegeleicht und in der App DAK-Pflegeguide abgerufen werden. Die Langfassungen der Filme stehen im Online-Pflegekurs der DAKGesundheit, dem DAK-Pflegecoach, zur Verfügung.
  • Der DAK-Pflegereport umfasst eine repräsentative Bevölkerungsbefragung, Auswertungen von DAK-Daten, qualitative Interviews mit Menschen, die demenziell Erkrankte Angehörige begleitet haben, und Versorgungsbeispiele aus der Praxis.