Politik
Diakonie fordert Nachbesserungen in der Pflegepolitik
Auch wenn die Bundesregierung, konkret BMG-Chef Hermann Gröhe und Staatssekretär Karl-Josef Laumann (beide CDU NRW), wöchentlich ihre "Erfolgsbilanz" in der Pflegepolitik propagiert, stellen ihr die in der Pflege tätigen Praktiker, Unternehmen und Verbände ein anderes Zeugnis aus. Das Diakonische Werk Württemberg stellt fest: "Reform nicht ausreichend, bei der Versorgung im Pflegeheim muss nachgebessert werden." Der DEVAP: "Mit Blick in die Zukunft schwant uns Böses."

Die stationäre Pflege braucht langfristig eine stabile Absicherung, fordert das Diakonische Werk Württemberg. "Es ist die aktuelle gesellschaftliche Verantwortung, dass unsere Pflegeheime künftig ausreichend Personal für die pflegerische und palliative Versorgung vorhalten kann", sagt Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg. Seit Januar werden Pflegebedürftige nach dem neuen Begutachtungssystem eingestuft. Während Menschen mit einem geringen Pflegebedarf davon profitieren, könnten sich die Chancen für schwerer Pflegebedürftige auf eine adäquate Einstufung verschlechtern. "Dass alte Menschen mit Unterstützungsbedarf bei der Alltagsorganisation nun Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, begrüßen wir ausdrücklich", sagt Kaufmann, "das darf aber nicht zu Lasten derer gehen, die stationär gepflegt werden müssen." Zunehmend würden alte Menschen direkt vom Krankenhaus ins Pflegeheim entlassen. Pflegekräfte benötigten inzwischen mehr Zeit für die pflegerische und medizinische Versorgung – palliative Zuwendung und Sterbebegleitung sei in der Pflegeversicherung zwar vorgesehen, doch die dafür notwendigen Personalressourcen sind nicht ausreichend finanziert. "Das schmerzt uns", so Kaufmann, "denn in der letzten Lebensphase wenden sich unsere diakonischen Pflegekräfte kranken und sterbenden Menschen in besonderer Weise zu." Bei der seelsorgerlichen Zuwendung dürfe es keinen Zeitdruck geben.
Grund für die Überlastung der Pflegekräfte sei der Systemfehler in der stationären Versorgung: Anders als in der ambulanten Pflege übernimmt die Krankenversicherung hier nur einen geringen Teil der Kosten für die medizinische Pflege. "Im Unterschied zu den in der eigenen Wohnung versorgten Menschen müssen Anteile der medizinischen Pflege von den Heimbewohnern selbst getragen werden – das ist ungerecht", kritisiert Kaufmann. Ein weiteres Thema benennt Eva-Maria Armbruster, Vorstand Sozialpolitik im Diakonischen Werk Württemberg. Sie stellt fest, dass das neue Pflegeversicherungsgesetz viele Regelungen enthält, die nur von Experten verstanden werden können – was zu einem großen Beratungsbedarf bei den Betroffenen führt.
Thomas Eisenreich, Geschäftsführung des Deutschen Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) erklärt zur Zwischenbilanz des Patientenbeauftragten und Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann: "Es ist noch nicht alles unter Dach und Fach, was Herr Laumann auf seiner Pressekonferenz so eindrucksvoll als Erfolgsbilanz verkauft. Natürlich ist seine abgearbeitete Agenda beeindruckend: Entbürokratisierung der Pflegedokumentation, tarifliche Bezahlung ins SGB XI, Verbesserung in der Heilmittelversorgung. Aber mit Blick in die Zukunft schwant uns Böses.
Gerade bei der reduzierten Pflegedokumentation und den noch bevorstehenden Projekten, wie beispielsweise der Einführung der Qualitätsindikatoren, sehen wir die bisherigen Erfolge schon wieder in Gefahr. Es ist zu anzunehmen, dass die Erhebung von Qualitätsindikatoren wieder neue Dokumentationserfordernisse mit sich bringen. Was eingespart wurde, wird wieder obenauf gesetzt. Da bleibt von der Erfolgsbilanz dann nicht mehr viel übrig. Und es gibt weiterhin Akteure, denen nicht an einem Weniger an Dokumentation gelegen ist. Das muss uns klar sein! Deshalb sollte bei jeder neuen Pflegegesetzgebung beim Erfüllungsaufwand auch die damit einhergehenden Bürokratiekosten in den Einrichtungen detailliert abgebildet werden. Zudem muss ersichtlich sein, inwieweit die Erfolge der Entbürokratisierung durch eine Neuerung gefährdet sind. Überdies ist das Thema noch lange nicht abgeschlossen – ist doch die Pflegedoku nur ein Teil auf der riesigen Baustelle ‚Entbürokratisierung‘.
Auch die weiteren Probleme, die Laumann aufgeworfen hat, wie die tarifliche Entlohnung der Pflegekräfte auch im SGB V analog zum SGB XI zu verankern und die Schaffung der Unabhängigkeit des MDK zeigen: Es ist noch lange nicht genug. In den nächsten Jahren müssen weitere Strukturreformen folgen. Wir brauchen eine echte Pflegeteilkasko-Absicherung, die gegen Altersarmut wirksam ist. Damit die Sektorengrenzen überwindbar werden, muss die Behandlungspflege im stationären Bereich endlich über die Krankenversicherung finanziert werden. Es darf nicht vom Wohnort des Betroffenen abhängen, welche Leistungen er in Anspruch nehmen kann."
Zum Megathema Personal: Wofür wünschen sich Beschäftigte in der Pflege mehr Zeit? Unter #Pflegezeit stellt die Diakonie in Deutschland alle Aktivitäten am Tag der Pflege ins Internet. Gesellschaftlich und politisch will die Diakonie deutlich machen, was verloren geht, wenn die Zeit für eine gute Pflege nicht mehr da ist. Mehr Infos gibt es unter: www.aktionstag-pflege-2017.de
Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu verfassen.
Sie haben noch kein Konto?
Jetzt registrieren