Politik
Rheinland-Pfalz: Fast 40 % mehr Pflegebedürftige bis 2035
Der Präsident des Statistischen Landesamtes Rheinland-Pfalz, Marcel Hürter, hat die Analyse "Rheinland-Pfalz 2060 – Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Pflegebedarf" in Mainz vorgestellt. Der Vorausberechnung zufolge wird die Zahl pflegebedürftiger Menschen im Alter ab 60 Jahren von heute rund 116.000 um fast 46.000 auf knapp 162.000 im Jahr 2035 steigen (plus 39 Prozent). Langfristig, bis zum Jahr 2060, könnten es sogar knapp 220.000 Pflegebedürftige sein (plus 103.000 Personen beziehungsweise plus 89 Prozent).

Wenn für die Zukunft konstante Pflegequoten unterstellt werden, dann wird allein durch die Altersstrukturverschiebung, die sich aufgrund des demografischen Wandels in den nächsten Jahren und Jahrzehnten unaufhaltsam ergeben wird, die Personenzahl in stationärer Pflege um 49 Prozent steigen (plus 16.600 Personen auf rund 50.800 stationär Versorgte in 2035). Für den Bereich der ambulanten Pflege errechnet sich eine Erhöhung um 38 Prozent (plus 10.300 Personen auf etwa 37.100 ambulant Versorgte in 2035). Die Zahl der reinen Pflegegeldem-pfängerinnen und Pflegegeldempfänger wird bis 2035 voraussichtlich um 34 Prozent zulegen (plus 18.700 Personen auf etwa 74.000 Pflegebedürftige, die ausschließlich Pflegegeld beziehen).
Um den pflegebedürftigen Menschen so lange wie möglich ein Leben in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen, gelte der Grundsatz "ambulant vor stationär", heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums. Demzufolge sei mit einem weiteren Ausbau der ambulanten pflegerischen Infrastruktur zu rechnen; das hätte einen geringeren Zuwachs des Bedarfs an stationären Pflegeplätzen zur Folge.
"Die Zahlen des Statistischen Landesamtes verdeutlichen den pflegepolitischen Handlungsbedarf", kommentierte Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler die aktuellen Berechnungen. "Mit der rheinland-pfälzischen Pflegestrategie haben wir einen umfassenden Fahrplan, um gute Pflege und Betreuung auch im weiteren Verlauf des demografischen Wandels zu ermöglichen. Wichtig dabei ist, auf mehreren Ebenen anzusetzen, von gelingender Prävention über die Fachkräftesicherung bis zur Stärkung von Hilfe-Mix-Strukturen, in denen Angehörige, bürgerschaftlich Engagierte und professionelle Pflege gut zusammenwirken", so die Ministerin.
"Die strukturellen Verschiebungen in der Art der Versorgung beruhen, bei konstanten Pflegequoten, auf der Bevölkerungsentwicklung", stellt Präsident Hürter fest. Die Zahl der 80-Jährigen und Älteren wird überproportional zunehmen. Dies liegt – neben der steigenden Lebenserwartung –insbesondere daran, dass die Babyboomer (Geburtsjahrgänge 1954 bis 1967) langfristig in die höheren Altersgruppen hineinwachsen. Da die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden, signifikant mit dem Alter steigt, erhöht sich auch die Zahl pflegebedürftiger Menschen im Alter ab 80 Jahren überproportional. Im Jahr 2015 lag das Pflegerisiko bei den 80-Jährigen und Älteren bei etwa 32 Prozent, das heißt fast jede dritte Person in dieser Altersgruppe war pflegebedürftig. Bis 2035 steigt die Zahl pflegebedürftiger Menschen zwischen 60 und 80 Jahren vermutlich um mehr als 20 Prozent (plus 7.900 Personen); im Alter ab 80 Jahren ist bis 2035 ein Anstieg um 48 Prozent zu erwarten (plus 38.000 Personen). "Regional betrachtet dürften die höchsten Zuwachsraten pflegebedürftiger Menschen dort beobachtet werden, wo heute eine vergleichsweise junge Bevölkerung lebt", so Hürter. Mittelfristig ergeben sich in der Vorausberechnung die höchsten Steigerungsraten für die Landkreise Mainz-Bingen (plus 66 Prozent beziehungsweise plus 2.900 Pflegebedürftige), Germersheim (plus 61 Prozent beziehungsweise plus 1.800 Pflegebedürftige) sowie Alzey-Worms (plus 60 Prozent beziehungsweise plus 1.800 Pflegebedürftige).
"Dass der Pflegebedarf in Rheinland-Pfalz in den nächsten Jahren und Jahrzehnten enorm steigen wird, dürfte heute niemanden überrascht haben. Die Zahlen des Statistischen Landesamtes zeigen erneut, dass wir vor einer großen Herausforderung stehen und dem steigenden Bedarf nur mit einer wachsenden Versorgungslandschaft begegnen können. Die Politik muss also alles dafür tun, Wachstum bei Pflegeheimen und Pflegediensten zu ermöglichen. Dazu gehört auch eine ehrliche und vorurteilsfreie Debatte über den Personaleinsatz. Die Lücke zwischen den Zahlen der benötigten und der vorhandenen Pflegefachkräfte steigt ebenfalls rasant an. Wer diese Realitäten anerkennt, muss einräumen, dass das derzeitige System von festen Fachkraftquoten nicht zu halten ist. Jede gut ausgebildete und klug eingesetzte Hilfskraft unterstützt Pflegebedürftige besser als eine Fachkraft, die nicht da ist. So lange Fachkräfte fehlen, müssen wir ideologiefrei über den sinnvollen Einsatz der vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sprechen", sagte Bernd Meurer, Präsident und Landesvorsitzende des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa).
"Die Entwicklungen werden, bei allen Einschränkungen, die mit einer Vorausberechnung verbunden sind, in den jeweiligen Kommunen ganz unterschiedlich verlaufen", betonte Ministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler. "Die Landesregierung hat den Kommunen mit der Pflegestrukturplanung und mit den Regionalen Pflegekonferenzen Instrumente an die Hand gegeben, um passgenau und den Bedürfnissen der pflegebedürftigen Menschen entsprechend agieren zu können. Das Land wird die Kommunen dabei weiter mit der Servicestelle bei der Landeszentrale für Gesundheitsförderung (LZG) unterstützen."
Die Berechnungen basieren auf der mittleren Variante der vierten regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung, die das Statistische Landesamt im Juli 2015 vorgelegt hat. Die Vorausberechnung der Zahl der Pflegebedürftigen im Alter ab 60 Jahren erfolgt mit konstanten Pflegequoten (Durchschnitt der Pflegestatistiken 2011, 2013 und 2015) nach Art der Pflegeleistung (ambulante und stationäre Pflege sowie ausschließlichem Bezug von Pflegegeld), untergliedert nach Altersgruppen und Geschlecht sowie nach kreisfreien Städten und Landkreisen.
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