Politik

Sondierungspapier steht: „Spürbare“ Verbesserungen für die Pflege

Die Spitzen von Union und SPD streben nach langem Ringen eine neue große Koalition an – trotz massiver Bedenken in den Reihen der Sozialdemokraten. Kanzlerin Angela Merkel, SPD-Chef Martin Schulz und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer verständigten sich in Berlin nach einer mehr als 24-stündigen Schlussrunde der Sondierungen auf Grundzüge der Zusammenarbeit, mit denen vor allem die SPD-Basis überzeugt werden soll. Über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheidet ein SPD-Parteitag am 21. Januar.

- Nach einem 24-stündigen Verhandlungsmarathon haben sich CDU, CSU und SPD auf Sondierungen geeinigt.Foto: dpa

Es soll keine Steuererhöhungen geben, aber eine Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen. Zudem soll eine Grundrente für langjährige Geringverdiener eingeführt werden, heißt es in dem Ergebnispapier. Alle drei Parteivorsitzenden sind nach massiven Verlusten bei der Bundestagswahl angeschlagen und für ihre eigene politische Zukunft auf ein Zustandekommen einer neuen gemeinsamen Regierung angewiesen. Vor allem Schulz steht unter Druck. Er will zusammen mit der Parteispitze in den nächsten Tagen bei der Basis für eine Neuauflage der ungeliebten großen Koalition werben. Die Jusos wollen dagegen Widerstand mobilisieren. Sollte der Parteitag in Bonn zustimmen, soll der mögliche schwarz-rote Koalitionsvertrag von einem Mitgliederentscheid abgesegnet werden.

Merkel unterstrich nach Abschluss der Sondierungen, das Papier sei "nicht oberflächlich". Es gehe um Zukunftsinvestitionen, besonders in Kinder und Familien. Zudem müsse in Wohnungen, in den Verkehr sowie in die Energiewende mehr investiert werden. Sie sei sich nicht immer sicher gewesen in den vergangenen 24 Stunden, dass es gelinge. Sie sei aber jetzt optimistisch, dass die Dinge vorangehen.

Wie aus dem fast 30 Seiten starken Papier hervorgeht, haben sich die Spitzen der drei Parteien auf eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung geeinigt.Demnach sollen die Beiträge wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden. Derzeit gibt es einen festen allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen bezahlen. Dazu kommt ein Zusatzbeitrag, den die Kassenmitglieder alleine schultern müssen. Er liegt im Schnitt bei 1 Prozent.

Die Sozialverbände SoVD und VdK begrüßten die Rückkehr zur Parität, der VdK auch im Grundsatz die Stabilisierung des Rentenniveaus. Die Zugangsvoraussetzungen für die Grundrente seien aber fern der Lebenswirklichkeit, sagte VdK-Chefin Ulrike Mascher.

Gegen den akuten Mangel an Pflegekräften sollen Arbeitsbedingungen und Bezahlung in Altenheimen und Kliniken "sofort und spürbar" verbessert werden. Zusätzliche Stellen sollen gefördert werden. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung soll um 0,3 Prozentpunkte gesenkt werden. Die Sozialabgaben – das war eine zentrale Forderung der Union – sollen unter 40 Prozent stabilisiert werden.

Das im Sommer 2017 gescheiterte Recht auf befristete Teilzeit wollen Union und SPD nun einführen. Dieser Teilzeitanspruch soll nur für Unternehmen ab 45 Mitarbeitern gelten. Bei Firmengrößen zwischen 45 und 200 Mitarbeitern soll lediglich einem pro 15 Mitarbeitern der Anspruch gewährt werden müssen. Während die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) in der vergangenen Wahlperiode das Rückkehrrecht für Unternehmen ab 15 Beschäftigten vorsah, hatten Union und Arbeitgeber die Schwelle bei 200 Beschäftigten festlegen wollen.

Angesichts der Digitalisierung soll es im Arbeitszeitgesetz eine Öffnungsklausel geben, um in tarifgebundenen Unternehmen flexiblere Arbeitszeiten zuzulassen. Auch dies war bereits geplant gewesen.

Die von der SPD geforderte Anhebung des Spitzensteuersatzes soll nicht kommen. Es gebe keinen Steuererhöhungen, hieß es. Das Rentenniveau soll bis 2025 bei 48 Prozent gehalten werden. Die SPD wollte eigentlich das Niveau für einen längeren Zeitraum halten. Zudem solle eine Grundrente eingeführt werden, betonte Seehofer. Merkel bekräftigte, nun eine Renten-Kommission für die Zeit nach 2025 einzusetzen.

Der Solidaritätszuschlag soll dem Vernehmen nach in dieser Legislaturperiode um 10 Milliarden Euro abgebaut werden. Das soll kleine und mittlere Einkommen bis zu etwa 60 000 Euro betreffen.

Obwohl die Wünsche der drei Parteien insgesamt an die 100 Milliarden Euro teuer geworden wären, solle jetzt der finanzielle Spielraum von bis zu 45 Milliarden Euro eingehalten werden, hieß es. Die Union pochte dem Vernehmen nach angesichts der sprudelnden Steuereinnahmen auf die "schwarze Null" – also den Verzicht auf neue Schulden im Bundeshaushalt.

Nach der Einigung bei den Sondierungsgesprächen mit der Union hat der linke Flügel der SPD Widerstand gegen eine große Koalition angekündigt. Durch Kampagnen und Argumente wolle man die Delegierten vor dem SPD-Parteitag am 21. Januar davon überzeugen, gegen die Bildung einer großen Koalition zu stimmen, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis der "Schwäbischen Zeitung" (Wochenendausgabe). Im Falle erfolgreicher Koalitionsverhandlungen macht SPD-Chef Martin Schulz die endgültige Zusage an die Union von einem Mitgliederentscheid abhängig.

Die Chancen für eine Absage schätzt die Vorsitzende der Demokratischen Linken 21 (DL 21) als groß ein. "Die Stimmung unter den Delegierten ist weiterhin sehr fragil", sagte Mattheis. Auch aus konservativen SPD-Reihen gebe es Skepsis. In einem solchen Bündnis sei "keine klare sozialdemokratische Politik möglich".

"Der Schritt zurück zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung ist wunderbar – aber keine Bürgerversicherung", sagte sie. Eine der Kernforderungen der Sozialdemokraten war die Einführung einer Bürgerversicherung, in der das bisherige System aus privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen aufgehen soll.

Auch der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Marco Bülow warnte vor einer GroKo. "Sie wird die große Ungleichheit nicht bekämpfen, sie wird weiter die Ränder stärken und beide Parteien, Union und SPD,  die 13,8 Prozent verloren haben, weiter schwächen. Sie ist alles andere als gut für unser  Land", sagte er. "Jetzt geht es darum, diese große Koalition von Seiten der SPD zu stoppen. Dafür muss die Basis mobilisiert werden."

Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) begrüßt es, dass die Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD nun zum Abschluss gekommen sind. Im Bereich Gesundheit und Pflege sind Absichtserklärungen enthalten, die die Ersatzkassen unterstützen. Dies gilt insbesondere für die Wiedereinführung der paritätischen Finanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und die schrittweise Einführung kostendeckender Beiträge aus Steuermitteln für die Bezieher von ALG II. Ulrike Elsner: "Es ist positiv, dass die Verhandler sich dazu bekennen, dass der medizinische Fortschritt in der GKV gemeinsam von Arbeitgebern und Versicherten finanziert wird. Konsequent ist dann auch, dass der Staat seiner Verpflichtung nachkommt, auskömmliche Beiträge für die Arbeitslosen zu bezahlen."

Elsner betonte, die Absichtserklärungen zur sektorenübergreifenden Versorgung, zur besseren Vernetzung und Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, insbesondere im Bereich der Notfallversorgung, und zu den erhöhten Investitionen im Bereich der Krankenhäuser und Digitalisierung müssten nun mit Leben gefüllt werden. Entscheidend sei dabei, dass nicht allein die Krankenkassen und Beitragszahler der GKV zur finanziellen Verantwortung gezogen werden. Die Investitionsfinanzierung der Länder sei beispielsweise eindeutig Aufgabe der Länder.

Auch die Förderung der Alten- und Krankenpflege wird vom vdek begrüßt. Im Krankenhausbereich muss das allerdings bedeuten, dass gut gemeinte Pflegeprogramme nicht ins Leere laufen und von den Krankenhäusern zweckentfremdet werden. "Und wer mehr Geld für die Pflegekräfte in den Pflegeeinrichtungen fordert, muss auch gleichzeitig sagen, wie das finanziert werden soll", sagte Elsner.