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Wohlfahrtswerk feiert 200 Jahre Innovationen und Visionen

Das war eine ganz besondere Feierstunde: Gestern feierte das Wohlfahrtswerk in Stuttgart sein 200. Jubiläum. Initiiert von einer weitsichtigen und tatkräftigen Monarchin entwickelte sich die "Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins" zu einem der großen Altenhilfeträger in Baden-Württemberg, der die Entwicklung der Branche auch in den nächsten Jahre voranbringen will – 200 Jahre Innovationen und Visionen.

- Ingrid Hastedt, seit 20 Jahren Vorstandsvorsitzende des Wohlfahrtswerks: "Davon war keine Minute langweilig!"Foto: H. Göpel

Am 7. Januar 1817 wurde das Wohlfahrtswerk von Königin Katharina von Württemberg ins Leben gerufen. Auf dem Höhepunkt von Wirtschaftskrise und Hungersnot gründete die tatkräftige Monarchin im Stuttgarter Alten Schloss die "Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins" und legte damit den Grundstein für die Sozialpolitik im Land nach dem heute noch aktuellen Grundsatz "Hilfe zur Selbsthilfe". 200 Jahre später gehört das Wohlfahrtswerk zu den großen Altenhilfeträgern in Baden-Württemberg und feierte seinen runden Geburtstag am 9. Januar 2017 mit einer Festveranstaltung in der Sparkassenakademie.

In seinem Grußwort würdigte Manfred Lucha, baden-württembergischer Minister für Soziales und Integration, die Rolle der Stiftung: "Das Wohlfahrtswerk war, ist und bleibt ein wichtiger und verlässlicher Partner der Landesregierung in Fragen der Sozial- und Gesellschaftspolitik. Uns verbindet das Ziel, die Menschen in unserem Land dazu zu befähigen, ihre Existenz und die  Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus eigener Kraft oder – falls dies nicht möglich ist – mit Unterstützung selbstverantwortlich zu gestalten. Ob in der Altenhilfe, der Jugendarbeit oder bei Fragen des generationenübergreifenden Zusammenhalts – das Wohlfahrtswerk ist seit Jahrzehnten Impulsgeber für soziale Innovationen, die den Alltag vieler tausender Menschen erleichtern. Dafür spreche ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Namen der gesamten Landesregierung meinen herzlichen Dank aus."

Die Stiftung betreut heute mit 1.400 Mitarbeitenden rund 2.000 Senioren. Daneben organisiert sie für jährlich rund 1.400 junge Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr und im Bundesfreiwilligendienst die Einsätze. Obwohl Name und Rechtsform mehrfach gewechselt haben, sind die beiden wesentlichen Aufgaben über die Jahrhunderte hinweg gleich geblieben: Soziale Dienste und Einrichtungen zu unterhalten und Innovationen auf sozialem Gebiet anzuregen und durchzusetzen. Für seine heutigen Entwicklungen wurde das Wohlfahrtswerk 2013 und 2016 mit dem Innovationspreis TOP 100 ausgezeichnet.

Das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg blickt auf eine lange und ungewöhnliche Geschichte zurück, wie Sabine Holtz, Professorin für Landesgeschichte an der Universität Stuttgart, in ihrer Vorstellung des Jubiläumsbuchs "Hilfe zur Selbsthilfe – 200 Jahre Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg" ausführte. Zur Zeit Katharinas Stuttgart herrschte in Württemberg bittere Armut. Mit der Gründung der "Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins" wollte die Gattin von König Wilhelm I. alle Aktivitäten für Arme unter einer Leitung bündeln, um eine größere Wirkung zu erzielen. Sie übernahm persönlich deren Vorsitz. Im Ergebnis war dies eine bahnbrechende Initiative ohne jedes Vorbild: Die Zentralleitung wurde Vorreiter und treibende Kraft auf weiten Feldern der Sozialpolitik. Das Leitmotto des Vereins "Arbeit verschaffen hilft mehr als Almosen verteilen", ist heute mehr denn je aktuell.

Königin Katharina starb am 9. Januar 1819 plötzlich im Alter von 30 Jahren. Während ihrer nur drei Jahre währenden Regentschaft initiierte die visionäre Monarchin mit dem Königin-Katharina-Stift, der Universität Hohenheim, der Württembergischen Sparcasse (heute Landesbank Baden-Württemberg/LBBW) und dem Katharinenhospital weitere Institutionen, die bis heute Bestand haben.

Wie aktuelle die Intention der gründerin war, machte der Gerontologe Prof. Andreas Kruse (Heidelberg) in seinem faszinierenden Festvortrag deutlich. Er benannte vier Merkmale, die die soziale Arbeit und Altenpflege prägen sollten:

  • Gemeinwohlorientierung, im öffentlichen Raum den Menschen die Befähigung zu geben, gesellschaftliche Veränderungen wie den demographischen Wandel mitzugestalten, damit zum Gelingen der Demokratie beizutragen und sie gegen (aktuell: rechtspopulistische) Angriffe zu stärken.
  • Selbstveranwortung, wie Katharina 1817 schon Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, den Betroffenen seitens der professionellen Pflege und Betreiber Wahlmöglichkeiten aufzuzeigen, wie es das Wohlfahrtswerk z.B. beim Angebot unterschiedlicher Wohnformen bereits überzeugend mache,
  • bewußt angenommene Abhängigkeit als Kriterium eines gelingenden langen Lebens, nach Martin Buber "ohne den Anderen nicht sein zu wollen", und zu lernen, Hilfen anzunehmen,
  • Mitverantwortung im Sinne einer neuen Form von Subsidiarität, eine Sorgekultur einführen, Ehrenamtler (von denen es im Wohlfahrtswerk 641 gibt) und professionelle Hilfesztrukturen verbinden.

In Kruses Vortrag wurden diese zentrale Themenfelder mit der Intention der weitsichtigen Königin Katharina verwoben – und 200 Jahre später greift auch der 7. Altenbericht diese wieder auf.

Bei allen erreichten Erfolgen, die das Wohlfahrtswerk in seiner langen Geschichte aufzuweisen hat: Es stehen für die nächsten 10 bis 20 Jahre noch weitere große Aufgaben an, so Ingrid Hastedt, seit 1997 die umtriebige Vorstandsvorsitzende. Sie zählte z.B. auf:

  • Pflege- und Betreuungsvergütung unabhängig vom Wohnort des Betroffenen und stattdessen am Individuum ausrichten,
  • Pflegeheime neu ausrichten in Richtung "Häuslichkeit", als eine attraktive Wohnform in einem barrierefreien Umfeld, mit verlässlicher 24-Stunden-Betreuung, Geselligkeit/Gemeinschaft, Sicherheit,
  • Einbindung der Zuarbeit von Angehörigen in den Heimen ermöglichen, mit Berücksichtigung dieser erbrachten Leistungen durch eine Senkung der Pflegeplatzkosten,
  • finanzierbare, legale, kontrollierte Präsenz durch Alltagsbegleiter rund um die Uhr ermöglichen, dieses Angebot der Einzelbetreuung nicht unkontrollierten der Schwarzarbeit durch osteuropäische Hilfskräfte überlassen,
  • zunehmende Digitalisierung auch in der Betreuung und Pflege, sei es bei der Prozessoptimierung oder in Form assistierender Technologien, die das Leben der Betroffenen in der eigenen Häuslichkeit ermöglichen (Sicherheit, Einbindung ins Gemeinwesen),
  • und natürlich die Personalgewinnung für die Branche, mit Möglichkeiten der Ausbildung von Menschen mit Migrationshintergrund (im Wohlfahrtswerk arbeiten bereits Menschen aus 44 Nationen), mit der Entwicklung neuer bedarfsgerechter Berufsprofile, mit einem Tarifsystem, dessen Entgelte durch Kostenträger wie Priesgestaltung auch zuverlässig refinanzierbar sind.

Hastedt abschließend: "Vor uns liegen weitere spannende Zeiten, und wir wollen sie mitgestalten!"

Das Wohlfahrtswerk startete mit der Festveranstaltung ins Jubiläumsjahr 2017 und wird seinen runden Geburtstag über das Jahr hinweg mit verschiedenen Aktivitäten (z.B. der Aktion "Wir machen Wünsche wahr") für Bewohner, Angehörige, Ehrenamtliche und Mitarbeitende feiern.

Das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg ist heute eine Stiftung des bürgerlichen Rechts und wurde 1817 von Königin Katharina von Württemberg gegründet. An 19 Standorten in Baden-Württemberg betreibt die Stiftung Pflegeheime und Seniorenwohnanlagen (1770 Plätze und Wohnungen). Dazu kommen ambulante Dienste, mobile Essensdienste sowie ein eigenes Bildungszentrum. Mit über 1.250 Teilnehmerinnen und Teilnehmern pro Jahrgang ist das Wohlfahrtswerk einer der größten Träger des Freiwilligen Sozialen Jahrs (FSJ) in Baden-Württemberg und gleichzeitig Träger des Bundesfreiwilligendienstes (BFD).