Politik
DEVAP Wahl-Check Pflege: Politik und Praxis weit auseinander
Zu einem "Salon-Gespräch Wahl-Check Pflege" hatte der DEVAP die pflegepolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen eingeladen. Praxis vs. Politik: Entgegen den Versprechungen der Bundesregierung würden die Pflegereformen tatsächlich zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in den Heimen führen. Ernüchternde Erkenntnis des Verbandes: "Es brennt in der Pflege – doch offenbar hat keine Fraktion einen Plan zum Löschen."

Wie geht es weiter in der Bundespolitik nach den letzten Jahren, in denen eine Pflegereform die andere gejagt hat? Diese Frage wollte der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) in einem "Salon-Gespräch Wahl-Check Pflege" klären, zu dem er die pflegepolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen eingeladen.
Die Einschätzung des DEVAP zu Beginn: Natürlich hätten die Neuerungen einige Verbesserungen gebracht, aber an der Personalsituation habe sich nichts verbessert, weil es in den Einrichtungen tendenziell eher weniger Personal durch die Einführung der neuen Pflegegrade gibt, statt mehr – wie zuvor versprochen. Damit verschärfe sich die angespannte Arbeitssituation des Personals weiter. Gefragt nach dem wichtigsten Projekt in der Pflege für die nächste Legislaturperiode, verwies lediglich Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der GRÜNEN, auf die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und in diesem Zusammenhang auf die tatsächliche Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs.
Nach Meinung der SPD habe man mit der Ausbildungsreform schon einen gewaltigen Schritt in Richtung Attraktivitätssteigerung getan; nun müsse die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung zügig beschlossen werden, damit mit der Umsetzung begonnen werden kann. Weitere SPD-Themen seien die Erhöhung der Qualitätsstandards, die Berücksichtigung neuer Rollenbilder und die Verbesserung der Situationen der Frauen im Pflegeberuf und in der Angehörigenpflege, so Mechthild Rawert (SPD MdB).
Erwin Rüddel, Pflegepolitiker der CDU, führte aus, dass in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (APO) der Geist des Kompromisses zur Pflegeberufereform gewahrt werden müsse. Nach Ostern 2018 wird der erste Entwurf vorliegen, bis zur Sommerpause 2018 rechne er mit der fertigen Verordnung. Im Fokus der CDU sei, dass auch in der Pflegeausbildung die Wahlfreiheit erhalten bleibe und Quereinsteiger wie Hauptschüler weiterhin die Ausbildung aufnehmen könnten. Ein weiteres Unionsthema für die nächste Legslatur sei der Ausbau der Digitalisierung und technischen Assistenz in der Pflege.
Entgegen der Äußerung seines Kollegen Erich Irlstorfer, dem pflegepolitischen Sprecher der CSU, am 18. Mai 2017 im Rahmen der Veranstaltung der Initiative "Pro Pflegereform", kündigt Rüddel an, dass in der nächsten Legislaturperiode "keine Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge geplant" sei; die Kosten dürften jedoch auch nicht am Pflegbedürftigen, den Angehörigen oder den Kommunen hängen bleiben. Irlstorfer hingegen hatte am 18. Mai festgestellt, dass mehr Geld ins System müsse, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Pia Zimmermann, pflegepolitische Sprecherin der LINKEN, betont, dass "die Zugänglichkeit zur Pflege für alle und in dem individuell gewünschten Maße sichergestellt werden muss. Pflege ist immer noch vom Geldbeutel abhängig; dies muss überwunden werden." Fachlich tiefer gingen die Äußerungen der DEVAP-Repräsentanten in der Diskussionsrunde. "Bei der Finanzierung der Pflegeversicherung muss endlich ein Systemwechsel eingeleitet werden", so Renate Backhaus, Mitglied des geschäftsführenden DEVAP-Vorstands. Sie forderte die pflege- und gesundheitspolitischen Sprecher der Parteien auf, zum Rothgang-Gutachten (vgl. CARE INVEST 12-2017) Position zu beziehen, in welchem festgestellt wurde, dass die Übertragung des Finanzierungsrisikos vom Einzelnen auf die Solidargemeinschaft durch die Etablierung eines festen Eigenanteils möglich wäre.
Dr. Bodo de Vries, stellv. Vorstandsvorsitzender des DEVAP, ergänzte, dass zusätzlich zum Systemwechsel zwingend auch ein Abbau der Sektorengrenzen erforderlich ist, weil die einzelnen Pflegeleistungen derzeit nur aufgrund wirtschaftlicher und nicht bedarfsgerechter Aspekte erbracht werden. Auch müsste der Geburtsfehler bei Finanzierung der Behandlungspflege beseitigt werden, die bisher je nach Wohnort des Versicherten von der Pflegeversicherung (Pflegeheim) oder der Krankenversicherung (in ambulanten Settings) getragen wird.
Die Vertreterinnen von SPD, den GRÜNEN und den LINKEN plädierten zur nachhaltigen Finanzierung der Pflegeversicherung für die Einführung einer Bürgerversicherung, da nur hierdurch ein gerechter Einbezug aller Bevölkerungsgruppen realisiert werden könne; Rüddel lehnt dies für die Union ab.
Rüddel betont, dass der Gesundheits- und Pflegesektor wegen der boomenden Wirtschaft in Deutschland derzeit kein Finanzierungsproblem hätte: "Für die Umstellung auf das neue Pflegeberufereformgesetz ab 2020 rechnen wir mit Kosten in Höhe von 1 Mrd. €; der GKV-Spitzenverband geht von 740 Mio. € aus." Nach Öffnung des Podiums für Publikumsfragen wurde deutlich, dass die stationären Einrichtungen und ambulanten Dienste nicht erst auf die Umsetzung langfristiger Reformen warten können. "Es ist 2 Minuten vor 12", so Bodo de Vries, "und die alleinige Konzentration der Diskussion in der nächsten Legislatur auf die Bürgerversicherung wäre wenig hilfreich, weil die Praktiker akutere Probleme beschäftigen: dies betrifft neben der vergeblichen Suche nach Fachkräften vorallem die schlechten Arbeitsbedingungen."
Thomas Sopp, von der v. Bodelschwinghschen Stiftung Bethel, ergänzt, dass es nicht sein kann, dass einerseits eine Erhöhung der Vergütungen gefordert würden, jede Verbesserung, die die tarifgebundenen Einrichtungen dann ermöglichen, bei den Pflegebedürftigen zu weiter steigenden Belastungen führe. So werde die Diakonie von den Pflegebedürftigen wegen der hohen Preise und von den Mitarbeitenden bei nur geringen Lohnsteigerungen "geprügelt" – ohne die Schützenhilfe der Politik zu bekommen, die ja stets eine bessere Vergütung der Pflegenden fordere.
Im Laufe der Diskussion mit dem Publikum wurde klar, dass nur durch mehr Geld im System eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen realisierbar sind: Durch die neuen Pflegegrade wird der Personalstamm in den Einrichtungen künftig geringer, was zu einer weiteren Arbeitsverdichtung und eben nicht zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen führt. Zudem sei es unabdingbar, dass sich die Krankenkassen und Träger zusammensetzen und gemeinsam Lösungen finden, um Sektorengrenzen abzubauen und weitere Lösungsansätze zu diskutieren, um die Pflege in Deutschland zukunftssicher umzugestalten.
Der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) e.V ist der größte evangelische Fachverband auf Bundesebene und vertritt über 1.950 stationäre Einrichtungen der Altenhilfe, über 1.400 ambulante gesundheits- und sozialpflegerische Dienste, mehr als 80 Altenpflegeschulen mit ca. 5.600 Ausbildungsplätzen sowie zahlreiche Altentagesstätten und Initiativen.
Der DEVAP wird auch die neu gewählten pflegepolitischen Sprecher im Dezember einladen und im Rahmen eines Salon-Gespräches wieder kritisch hinterfragen, was im Koalitionsvertrag für den Pflegesektor vereinbart wurde, wie sich dies mit den Forderungen aus dem Wahlkampf deckt und welche Projekte für die kommenden vier Jahre geplant sind.
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