Politik
Massive Kritik am Landespflegestrukturgesetz in Baden-Württemberg
"Immer mehr Menschen suchen verzweifelt nach einem Pflegedienst oder einem Pflegeheim. Angehörige und Krankenhäuser telefonieren stundenlang nach Angeboten der Kurzzeit-, Tages- oder ambulanter Pflege. Doch die Mühen sind oft vergeblich, denn Pflegeplätze und einsatzfähige Pflegedienste sind immer seltener zu finden. In dieser dramatischen Situation legt die Landesregierung ein Landespflegestrukturgesetz vor, das über leere Worthülsen und hehre Ankündigungen nicht hinauskommt – eine Politik wie von einem anderen Stern", kritisiert die Evangelische Heimstiftung.

Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der EHS, ist sich sicher: "In Baden-Württemberg fehlen flächendeckend nicht nur Tausende von Pflegeheimplätzen, sondern auch Angebote der Tagespflege, von ambulanten Wohngemeinschaften, betreuten Seniorenwohnungen und Pflegediensten, die Angehörige zu Hause entlasten. Wir sind Pflegenotstandsgebiet – wie soll ich das anders nennen, wenn Tausende von Pflegebedürftigen keine Hilfe bekommen?" Die Politik weigere sich, die Probleme wahrzunehmen.
"In dieser dramatischen Situation" habe der Landessozialminister Eckpunkte eines "Landespflegestrukturgesetzes" vorgelegt, das "über leere Worthülsen" nicht hinauskomme: "So viel unverbindliches Wischi-Waschi habe ich bei der Ankündigung eines Gesetzes noch nicht gelesen", zeigt sich Schneider verärgert. "Der Minister beschreibt Handlungsbedarf und formuliert wohlfeile Ziele, die so unklar sind, dass er auch nicht sagen muss, wie er sie erreichen will. Selbst bei der Analyse springt er zu kurz und deshalb wundert es nicht, wenn die Maßnahmen nicht über unverbindliche Ankündigungen wie Digitalisierung, sektorenübergreifende Zusammenarbeit oder Pflegekonferenzen und Modellkommunen hinauskommen. Dieses Gesetz verhöhnt die Pflegebedürftigen und die pflegenden gleichermaßen, weil ihre Probleme nicht ernst genommen werden", sagt Schneider weiter.
Die Evangelische Heimstiftung fordert deshalb ein "Pflegeinfrastruktur-Förderprogramm" mit mindestens 100 Millionen Euro jährlich. Die Länder sind gesetzlich verpflichtet, für "die Vorhaltung einer zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen, pflegerischen Versorgungsstruktur" zu sorgen. "Diesen Auftrag soll unser reiches Bundesland endlich ernst nehmen", fordert Schneider. In Baden-Württemberg wurde das Pflegeheimförderprogramm 2010 abgeschafft. Seitdem engagiert sich die Sozialpolitik nicht mehr für die pflegerische Infrastruktur: "Der Sozialminister versichert zwar immer wieder, wie wichtig die Pflege angeblich ist, aber wenn es ans Geld geht, dann bleibt die Kasse der Finanzministerin zu", kritisiert Schneider. Die Verantwortung für eine ausreichende und zukunftsfähige Pflegeinfrastruktur dürfe "nicht allein den Pflegeunternehmen und den Pflegebedürftigen zugeschoben werden, die das alles letztlich bezahlen müssen". Das sei ungerecht und es entspreche "auch in keiner Weise einer verantwortlichen Pflegepolitik".
Es bedarf laut Schneider "eines mutigen Investitionsprogramms, das sich zum Ziel setzt, eine quartiersbezogene, zukunftsfähige und moderne Pflegeinfrastruktur in Baden-Württemberg zu schaffen, die für Angehörige und Pflegebedürftige bezahlbar ist". Über ein solches Förderprogramm könne gewährleistet werden, dass "neue, wohnortnahe Einrichtungen der 5. Generation oder Betreute Wohnungen mit flexiblen Leistungsangeboten entstehen, deren Größe und Ausgestaltung sich am örtlichen Bedarf und den Rahmenbedingungen des Quartiers orientieren". Auch der Ausbau von neuen Wohnformen könne über eine entsprechend hohe Förderquote beschleunigt werden. Jede Betreute Wohnung für Senioren entlaste den Wohnungsmarkt und macht Wohnraum frei für junge Familien.
Die Investitionsförderung führe zudem zu einer Reduzierung der Heimentgelte in geförderten Einrichtungen und damit auch zu einer spürbaren Entlastung von Bewohnern und Angehörigen. "Die grün-schwarze Landesregierung ist mit dem Anspruch einer Politik des Gehörtwerdens angetreten. Es ist an der Zeit," fordert Schneider, "dass dieses Versprechen eingelöst wird, die Politik mit den Betroffenen spricht, die Probleme in der Pflege ernst nimmt und endlich eine Pflegepolitik gestaltet, mit der sie ihrer Verantwortung gerecht wird".
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