Politik

Sondierungsgespräche: Jamaika und die Pflege

Nach den Pflegestärkungsgesetzen ist noch lange nicht Schluss. Das Jamaika-Bündnis hat nach wie vor großem Reformdruck beim sozialen Megathema Pflege. In den nächsten beiden Wochen gehen wohl die Verhandlungen ins Eingemachte.

- Nationalflagge von Jamaika: Seit dem 18.10.17 finden Sondierungsgespraeche zur Bildung einer neuen Regierungskoalition in Berlin statt.Foto: Carsten Reisinger

Es war die größte Reform seit dem Start der Pflegeversicherung 1995. Nach jahrelangen Vorbereitungen kam die Umstellung des Pflegesystems Anfang des Jahres. Wurden die Pflegebedürftigen zuvor in drei Pflegestufen eingruppiert, gelten seither fünf Pflegegrade: Vor allem Demenzkranke sollten leichter an Leistungen aus der Pflegeversicherung kommen. Was steht jetzt für die Jamaika-Partner bei der Pflege an?

Die Reform wurde von der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt schon 2006 mit einem Expertenbeirat angestoßen. Dann zog es sich über Jahre. Mit dem Reformstart wurde der Pflegebeitragssatz zum 1. Januar 2017 noch einmal um 0,2 Prozentpunkte angehoben, um die besseren Leistungen finanzieren zu können, auf 2,55 Prozent vom Brutto. Nun kann Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der in der großen Sondierungsrunde für eine Jamaika-Koalition mit am Tisch sitzt, auf Erfolge verweisen, wenn das Thema Pflege zur Sprache kommt. Trotzdem ist der Reformdruck nach wie vor enorm.

Die Problemfelder: In den Krankenhäusern fehlen landauf, landab Schwestern und Pfleger – auch weil die Kliniken eigentlich für die Pflege vorgesehene Mittel nicht selten anders einsetzen. Seit einem Vierteljahrhundert ist die Zahl der Klinikärzte um 66 Prozent auf rund 158 100 gestiegen. Eine Abnahme um 1000 auf rund 325 100 gab es bei den Pflegekräften. In den Altenpflege sieht die Lage nicht viel besser aus. Es gibt seit Jahren immer mehr Pflegebedürftige. Vor zehn Jahren waren es rund 2,03 Millionen, bis Ende 2016 stieg die Zahl binnen einen Jahres um 84 000 auf 2,75 Millionen.

Sondierungsgespräche: In den Jamaika-Sondierungen visierten die Partner bereits erste Verbesserungen bei der Pflege an, etwa mehr Geld für Pflegekräfte. Sicherlich wird dabei der 30. Oktober am Interessanten sein: Die kleine Runde berät voraussichtlich von 10.00 Uhr an über "Arbeit, Rente, Gesundheit, Pflege, Soziales" sowie über "Familie, Frauen, Senioren, Jugend". Um 15.00 Uhr will demnach die große Gruppe der mehr als 50 Sondierer eine Zwischenbilanz über die Beratungen in den ersten sieben Bereichen ziehen. Im Zeitraum vom 7. bis 9. November finde die Steuerschätzung statt. Erst anschließend wissen die Sondierer relativ genau, wie viel Geld für Steuerentlastungen, Investitionen oder soziale Vorhaben zur Verfügung steht. Mit einem Sondierungspapier ist dann wohl eine Woche später zu rechnen. Das ist wichtig für die Grünen-Spitze, die einen Parteitag über den Einstieg in Koalitionsverhandlungen entscheiden lassen will. Bei CDU, CSU und FDP dürfte diese Entscheidung in den Gremien fallen.

CDU/CSU: Die Union will nach Angaben des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) in den Jamaika-Verhandlungen rasch auch über die Zukunft der Rente reden. Bei den Beratungenwerde intensiv über soziale Themen gesprochen, kündigte Herrmann am 21. Oktober in Berlin nach einer Zwischenbilanz der Spitzen von CDU und CSU zu den ersten Jamaika-Verhandlungen in großer Runde vom Vorabend an. "Da geht es um die Zukunft der Renten, da geht es um Pflege" und andere wichtige soziale Anliegen. Zwischen CDU und CSU gebe es hier "volle Übereinstimmung". Details nannte er nicht. CDU und CSU würden bei diesen Themen "mit sehr konkreten Vorschlägen" in die weiteren Beratungen gehen, sagte Herrmann. "Das gilt auch für die Zukunft der Krankenversicherung, der Krankenversorgung und der medizinischen Versorgung in den ländlichen Räumen." Man werde bei diesen Punkten mit den möglichen Jamaika-Partnern in der Sache gut vorankommen. "Wir sind da auf einem guten Weg".

Grüne: Die Jamaika-Parteien CDU, CSU, FDP und Grüne könnten nach Einschätzung von Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt einen Schwerpunkt aufs Soziale legen. "Es gab eine relativ breite Zustimmung dabei, dass klar ist, die soziale Frage muss für diese Koalition im Mittelpunkt stehen", sagte Göring-Eckardt nach dem ersten Sondierungstreffen in großer Runde in einem Video, das die Grünen in der Nacht zum Samstag online stellten. Unterschiede gebe es aber zwischen den Parteien bei den gewünschten Instrumenten dafür, etwa bei den Themen Krankenversicherung, Pflege, Hebammen oder Gesundheitsversorgung auf dem Land.

FDP: FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff machte in der "Passauer Neuen Presse" deutlich, dass die FDP keine Eile habe. Parteichef Christian Lindner hatte der dpa am Freitagabend nach Ende ersten Sondierung in großer Runde gesagt: "Man musste zwischen den Zeilen lesen, um für die vertieften Debatten neue Ideen zu gewinnen. Aber immerhin ist nun der Klärungsprozess in Gang gekommen, der jetzt Tempo aufnehmen darf."

Wie die Deutsche Presse-Agentur letzte Woche aus Verhandlungskreisen erfuhr, stimmte die Grünen-Sondierungsgruppe demonstrativ der CSU-Politikerin Barbara Stamm zu, die forderte, den Pflegesektor unter anderem durch eine bessere Bezahlung von Pflegekräften zu stärken.

Die finanziellen Rahmenbedingungen scheinen zumindest zu stimmen. Das Handelsblatt und der Spiegel haben 30 Milliarden Euro als Investitionsgrundlage einer neuen Koalition genannt. Diese Summe würde den ausgeglichenen Haushalt nicht gefährden. Wie viel davon für die Pflege zur Verfügung steht, ist noch nicht verhandelt. Es gibt viele Kuchenstücke zu verteilen.