Politik
Studie: Bertelsmann Stiftung schlägt neuen Pflege-TÜV vor
Der sogenannte Pflege-TÜV mit den "Pflegenoten" liefert momentan keine ausreichenden Informationen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Jeder zweite Deutsche fürchtet, im Alter nicht das passende Pflegeheim oder den passenden Pflegedienst zu finden, so das Ergebnis einer Befragung. Ein neues Online-Portal soll den intransparenten Pflege-TÜV ersetzen.

Der vom Gesetzgeber einberufene Qualitätsausschuss sollte an diesem Informationsmissstand bis Ende des Jahres etwas ändern. "Das Gremium, das aus Vertretern der Pflegekassen und -anbieter besteht, hat bereits angekündigt, die Frist nicht einzuhalten", so Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. Und in der Tat: Ingrid Fischbach, die neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, warnte Kassen und Heimbetreiber bereits, dass die Regierung nicht zulassen werde, dass sich der neue Pflege-TÜV zum "Rohrkrepierer" entwickele. Sie forderte die Selbstverwaltung der Pflegeverbände auf, sich der Reform des Instrumentes mit dem notwendigen Ernst anzunehmen. Die Reaktion der Selbstverwaltung folgte prompt: "Die Wissenschaft hat keine Patentrezepte, sie braucht erheblich mehr Zeit, um ein neues System zur Qualitätsprüfung und zur transparenten Darstellung der Pflegequalität zu liefern als vom Gesetzgeber vorgesehen", wird Bernd Tews, Geschäftsführer des Bundesverbands privater Anbieter (bpa) in der "FAZ" zitiert. Tews vertritt auch die zehn Vertreter der Anbieter im Ausschuss. Tews deutet zudem an, dass die Regierung über den zeitlichen Ablauf Bescheid wisse. Dennoch gilt: An der mangelhaften Situation ausreichend aufbereiteter Situation für Pflegebedürftige ändert der politische Tanz im Wahlkampfjahr vorerst nichts.
55 Prozent der Deutschen sehen laut Umfrage, welche das Meinungsforschungsinstitut Kantar Emnid für die Bertelsmann-Stiftung durchführte, bei Pflegeheimen und -diensten starke Qualitätsunterschiede. Nahezu zwei Drittel der Befragten (63 Prozent) befürchten besonders, dass es in den Einrichtungen zu wenig Personal gibt. Unter denjenigen, die bereits nach Pflegemöglichkeiten gesucht haben – immerhin jeder Dritte über 50 Jahren – ist diese Sorge noch ausgeprägter: Hier schätzen 73 Prozent die Anzahl des Personals in Pflegeheimen als "eher schlecht" oder "sehr schlecht" ein.
Bürger wollen mehr Informationen zur Heimwahl: Neun von zehn Befragten sollen sich Daten zum Personaleinsatz (88 Prozent), der Pflegequalität (94 Prozent) und der Ausstattung von Pflegeheimen (92 Prozent) wünschen. "Der vom Gesetzgeber einberufene Qualitätsausschuss sollte sich nicht nur auf die Pflegequalität konzentrieren, sondern auch Angaben zum Personaleinsatz und zu auswahlrelevanten Einrichtungsmerkmalen in die neue Qualitätsberichterstattung einbeziehen", sagt Etgeton. Experten aus Wissenschaft und Betroffenenverbänden haben nun gemeinsam mit der Weissen Liste, einem Projekt der Bertelsmann Stiftung, an einer möglichst transparenten Informationsplattform gearbeitet. Sie schlagen ein Bewertungssystem für Pflegeeinrichtungen vor, in dem Informationen zur gesundheitsbezogenen Pflegequalität, Angaben zum Personaleinsatz und zu Einrichtungsmerkmalen aufgenommen werden, die für die Lebensqualität der Pflegebedürftigen von Bedeutung sein können. Sechs zentrale Reformvorschläge stehen dabei im Mittelpunkt:
- Online-Plattform: Anstatt die Pflegequalität wie bisher standardisiert in Papierform beziehungsweise als pdf-Datei zu veröffentlichen, sollten Informationen über Pflegeeinrichtungen online zugänglich, individuell erschließbar und aktuell sein.
- Auskunft Lebensqualität: Die Pflegeanbieter sollten verpflichtet werden, über Leistungs- und Ausstattungsmerkmale Bericht zu erstatten, welche die Lebensqualität von Pflegebedürftigen maßgeblich beeinflussen.
- Auskunft Personalangaben: Die Pflegeanbieter und -kassen sollten verpflichtet werden, Auskunft darüber zu geben, wie viele Pflegebedürftige ein Pflegender betreut und wie das Personal qualifiziert ist.
- Darstellung Pflegequalität: Anstatt die Pflegequalität in Dezimalzahlen oder Noten zusammenzufassen, sollten Empfehlungen und Warnungen für Suchende unmissverständlich aufgezeigt werden. Der Weisse Liste-Prototyp schlägt hier beispielsweise ein rotes Warndreieck für besonders schlechte und einen grünen Daumen für besonders gute Pflegequalität vor.
- Auskunft Erfahrungswissen: Die Erfahrungen von Menschen, die am Pflegeheimalltag teilhaben – beispielsweise Pflegebedürftige, ihre Angehörigen oder Mitarbeiter – sollten erhoben und veröffentlicht werden.
- Einführung Open-Data: Die erhobenen Rohdaten über Pflegeanbieter sollten zur freien Verfügung und Nutzung bereitstehen – beispielsweise zu Forschungszwecken oder für Informationsangebote im Internet.
Update: Die Meinungen von Ingrid Fischbach und Bernd Tews wurden ergänzt.
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