Politik
Umstrittene Reform der Pflegeausbildung im Bundestag beschlossen
Am Ende ging alles ganz schnell: Mit den Stimmen der Regierungskoalition ist der Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeberufe im Bundestag verabschiedet worden. Die GroKo feierte sich dafür, nach 10 Jahren Diskussion die Pflegeausbildung auf den richtigen Weg gebracht zu haben, die Opposition kritisierte wieder das Fehlen der Ausgestaltung von Ausbildungsinhalten und Finanzierung. Mit fast 50 Änderungsanträgen zum früheren Entwurf ohne erforderliche Anhörung sei das Gesetz jetzt "durchgezogen worden".

Der Bundestag hat nach zähem Ringen auch innerhalb der Regierungskoalition die Reform der Pflegeberufe beschlossen. Zusammengefasst: Von 2020 an soll es eine generalistische Ausbildung zur Pflegefachfrau und zum Pflegefachmann geben.
Alle Auszubildenden erhalten zwei Jahre lang eine gemeinsame, generalistisch ausgerichtete Ausbildung, mit der Möglichkeit einen Vertiefungsbereich in der praktischen Ausbildung zu wählen. Wer die generalistische Ausbildung im dritten Jahr fortsetzt, erwirbt den Abschluss zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann. Auszubildende, die ihren Schwerpunkt in der Pflege alter Menschen oder der Versorgung von Kindern und Jugendlichen sehen, können für das dritte Ausbildungsjahr statt des generalistischen Berufsabschlusses einen gesonderten Abschluss in der Altenpflege oder Kinderkrankenpflege erwerben. Sechs Jahre nach Beginn der neuen Ausbildung soll überprüft werden, ob für diese gesonderten Abschlüsse weiterhin Bedarf besteht.
Die Pflegehelferausbildung kann auf die Ausbildung zur Pflegefachkraft angerechnet werden. Ergänzend zur beruflichen Pflegeausbildung wird es das Pflegestudium geben. Ein berufsqualifzierendes Pflegestudium soll die Aufstiegsmöglichkeiten für Pflegekräfte verbessern.
Union und SPD hatten sich darauf erst nach langwierigen Verhandlungen verständigt. Zunächst war geplant, dass es ausschließlich die einheitliche Ausbildung für alle Pflegekräfte geben sollte.
Über die Lerninhalte und die praktische Ausgestaltung der Ausbildung entscheidet erst der nächste Bundestag. Die Opposition bezweifelte, dass mit der Reform das Ziel erreicht werde, den Pflegeberuf aufzuwerten und stimmte gegen das Gesetz.
Auch der Bundesrat muss dem Gesetz noch zustimmen. Die Zustimmung des Bundesrates wird am 7.7.2017 erwartet.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) warben für den Kompromiss. Barley sagte, die Reform der Pflegeberufe sei "ein großer Schritt zur Aufwertung der sozialen Berufe", in denen vorwiegend Frauen tätig seien. Mit dem Gesetz wird spätestens 2020 auch das Schulgeld in der Altenpflege überall abgeschafft und die Ausbildungsvergütung verbessert. Gröhe nannte es einen "Aberwitz", dass in Mangelberufen überhaupt noch Schulgeld erhoben werde.
Sprecher von Union und SPD warfen der Opposition aus Grünen und Linke vor, sich die Argumente der Arbeitgeber in der Pflege zu eigen gemacht zu haben. Die Opposition warf der Regierung vor, die weitreichenden Änderungen für die Pflegeausbildung vor Ort und die Pflegeunternehmen nicht ausreichend berücksichtigt zu haben.
bpa-Präsident Bernd Meurer: "Heute ist kein guter Tag für die Altenpflege in Deutschland. Ohne eine erneute Anhörung wird eine grundlegende Reform der Pflegeberufe beschlossen. Stand heute ist die Altenpflege die große Verliererin. Denn es wird nicht, wie in dem Kompromiss von SPD und Union ursprünglich vorgesehen, einen Wettbewerb der Ausbildungssysteme geben. Die höheren Ausbildungszahlen in der Altenpflege gegenüber der Krankenpflege stellen offensichtlich eine Bedrohung für die Generalistik dar; deshalb werden die Ausbildungsgesetze der Alten- und Kinderkrankenpflege kurzerhand abgeschafft. Das hat zur Folge, dass die zukünftigen Auszubildenden in die generalistische Ausbildung gedrängt werden, während die Alten- und Krankenpflege zur Ausnahme degradiert werden. Pflegeeinrichtungen, die als Ausbildungsbetriebe fungieren, werden mit Pflichten überhäuft: So sollen sie beispielsweise Praxiseinsätze im Krankenhaus sicherstellen sowie die Verantwortung und Finanzierung für die Auszubildenden übernehmen, was de facto nicht ihre Aufgabe ist. Zudem sind Inhalte und Prüfungsanforderungen der Pflegeausbildungen weiterhin nicht bekannt. Der Bundestag hat eine leere Hülle ohne Inhalt beschlossen. Noch ist völlig unklar, ob es für die Altenpflege und die Altenpflegeschulen eine Zukunft gibt.
Als Präsident des größten Verbandes innerhalb der Altenpflege kann ich nur hoffen, dass es bei der Bundestagswahl im September zu einer Mehrheit kommt, die die berechtigten Interessen der Altenpflegerinnen und Altenpfleger endlich anerkennt und sie ernst nimmt. Bisher wird die Versorgung der pflegebedürftigen Bevölkerung ohne Not aufs Spiel gesetzt.
Der verabschiedete Gesetzentwurf wird den Fachkräftemangel in der Altenpflege nicht beheben, sondern ihn enorm verschärfen. Die Zeche zahlen junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz mehr finden werden, Umschülerinnen und Umschüler, die sich eine neue Berufs- und Lebensperspektive aufbauen wollten und die Pflegebedürftigen, denen künftig weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen."
"Murks bleibt Murks!" kritisiert der Arbeitgeberverband Pflege das Gesetz. Thomas Greiner, Präsident des AGVP: ,,Mit diesem höchst dilettantischen Machtwerk haben es die verantwortlichen Koalitionspolitiker geschafft, dass für alle Pflegeazubis, alle, die sich Gedanken machen, ob sie den Altenpflegeberuf erlernen wollen, alle Pflegeschulen, die ausbildungswilligen Unternehmen, ja die gesamte Altenpflegebranche nun eine ungute und lange Phase der totalen Verunsicherung beginnt. Da wurde jetzt im Bundestag über eine sprichwörtliche Katze im Sack abgestimmt."
DBfK: "Die jetzt verabschiedete Reform bleibt deutlich hinter dem ursprünglichen Gesetzentwurf zurück. In letzter Minute wurde ein Kompromiss gefunden, der den Eigeninteressen einer kleinen, aber militanten Minderheit Rechnung trägt. Traurig, dass es trotz der überwältigenden Mehrheit der Regierungsfraktionen im Bundestag soweit kommen musste. "Wir werden sorgfältig prüfen – dies gilt insbesondere für die Bildungsstandards der beruflichen Ausbildung – wo das jetzt verabschiedete Gesetz nicht praxistauglich ist, und in der nächsten Legislaturperiode entsprechende Nachbesserungen einfordern", sagt Prof. Christel Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK). "Es muss gewährleistet werden, dass die im Ausbildungsziel formulierten Kompetenzprofile auch in der Ausbildung erreicht werden. Vertagt wurde die Ausbildungs- und Prüfungsordnung, diese soll zudem vom nächsten Bundestag verabschiedet werden. Das ist absurd!"
Die Reform produziert etliche Verlierer: zuallererst die Altenpflege, für die eine historische und lange überfällige Chance der Aufwertung vergeben wird; die Pflegeschulen, die sich schwertun werden, eine Ausbildung zu planen, die viele unterschiedliche Interessen bedienen soll und bis Ende des zweiten Ausbildungsjahres kaum kalkulierbar bleibt, sowie Alten- und KinderkrankenpflegerInnen, denen weiterhin die automatische europaweite Anerkennung ihrer Berufsausbildung verwehrt ist."
Caritas: "Nach langem und zähem Ringen ist es jetzt endlich gelungen, die Pflegeausbildung zukunftssicher auf den Weg zu bringen", sagt Caritas-Präsident Peter Neher anlässlich der heutigen Verabschiedung des Pflegeberufegesetzes. Auszubildende in der Pflegebranche dürfen sich ab 2020 freuen. Dann gilt die Schulgeldfreiheit, es gibt eine angemessene Ausbildungsvergütung und vor allem steigen die Berufs- und Karrierechancen, weil der Wechsel zwischen verschiedenen Berufsfeldern möglich wird. Das bundesweite Umlageverfahren verhindert zudem, dass Einrichtungen, die ausbilden, wirtschaftlich benachteiligt werden. Das heute verabschiedete Gesetz sieht vor, dass ab 2020 die generalistische Pflegeausbildung verbindlich eingeführt wird. "Die neue Pflegeausbildung berücksichtigt, dass es zukünftig eine wachsende Zahl sehr alter Menschen gibt, die mehr medizinische Behandlungspflege brauchen. Und Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger müssen künftig vermehrt mit demenzerkrankten Menschen in den Kliniken umgehen können", so Neher. "Die generalistische Ausbildung erweitert das pflegefachliche Wissen und steigert die Kompetenzen der künftigen Pflegefachmänner und – frauen entscheidend." "Das Nebeneinander von generalistischer und spezialisierter Ausbildung bedeutet für die Pflegeschulen eine große Herausforderung", so Neher. Eine Evaluation nach sechs Jahren wird zeigen, wie die unterschiedlichen Ausbildungsformate von den Auszubildenden angenommen werden. Der Deutsche Caritasverband und seine Fachverbände, der Katholische Krankenhausverband Deutschland (KKVD) und der Verband Katholischer Altenhilfe (VKAD), werden die generalistische Pflegeausbildung aktiv in ihren Schulen und Einrichtungen umsetzen.
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